Ursula Staudinger beim Expertengespräch im Bundesinnenministerium

Der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand stellt einen wichtigen Aspekt der demografischen Entwicklung dar. Um mehr darüber zu erfahren, traf sich Bundesinnenminister Horst Seehofer am 28. Februar 2019 im kleinen Kreis mit Experten aus Wissenschaft, Kommunalverwaltung und Wirtschaft. Ursula Staudinger war als Alternsforscherin zum Expertengespräch eingeladen und brachte Forschungserkenntnisse über die Beeinflussbarkeit von menschlichem Altern und die Leistungsfähigkeit im fortgeschrittenen Alter ein.

Bundesinnenminister Horst Seehofer mit Teilnehmer*innen des Expertengesprächs am 28. Februar 2019, Quelle: BMI

Das gesamte Arbeitsleben im Blick

In dem Gespräch ging es unter anderem um die Frage, wie die neu entstandenen Potenziale in einer Gesellschaft des längeren Lebens besser genutzt werden können. Ursula Staudinger plädierte dafür, dass Wirtschaft und Politik sich noch stärker dafür einsetzen, eine Kultur der Wertschätzung, der Weiterentwicklung und des Lernens während des gesamten Erwerbslebens zu fördern. „Abwechslung in der Berufstätigkeit und immer wieder auch neue Aufgaben im Arbeitsalltag helfen dem kognitiven Abbau mit dem Alter entgegenzutreten“, sagte sie. Es sei zudem wichtig, das gesamte Arbeitsleben in den Blick zu nehmen und neue Berufsverläufe zu schaffen. Damit werden laterale Karrieren und immer wieder (versicherte) Auszeiten für Weiterbildung, die Familie oder persönliche Projekte ermöglicht.

Gleichzeitig müsse sich das gesetzliche Rentenalter der gestiegenen Lebenserwartung schrittweise anpassen, so Staudinger. Es sei jedoch wesentlich, am gesetzlichen Rentenalter festzuhalten. Denn das mache es den Menschen möglich, ohne Rechtfertigung aufzuhören zu arbeiten und erhalte den Generationenwechsel. Ebenso müsse jedoch auch an der Erleichterung des Wiedereinstiegs in bezahlte Arbeit nach der Rente gearbeitet werden – für diejenigen, die das möchten.

Gestaltung der gewonnenen Lebensjahre ist Aufgabe für alle

Am Expertengespräch nahmen außerdem Ralf Paul Bittner, Bürgermeister von Arnsberg – eine vielfach ausgezeichnete altersgerechte Kommune – und Marion Kopmann, Gründerin und Geschäftsführerin einer Beratungsagentur für die Weiterbeschäftigung und -bildung älterer Menschen, teil. Die Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass die Fähigkeiten und Talente älterer Menschen in unserer Gesellschaft besser anerkannt, genutzt und gefördert werden sollten. Die Gestaltung der gewonnenen Lebensjahre sei eine wichtige Aufgabe für alle. So stellen die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auch eine Herausforderung für den öffentlichen Dienst dar: Bis 2030 geht rund ein Drittel der derzeitigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums in Rente.

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Ursula Staudinger hält ceres Lecture

Am 26. November war Ursula Staudinger eingeladen, die ceres Lecture an der Universität zu Köln zu halten. Sie sprach vor rund 120 Gästen über „Gewonnene Jahre – Potenziale des Alter(n)s“. ceres lädt regelmäßig international führende Wissenschaftler ein, um ihre Expertise Studierenden, Wissenschaftlern und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und Einblicke in ihre aktuelle Forschungsarbeit zu geben.

Ursula Staudinger hält ceres Lecture
Foto: Andreas Kirchner

Gewonnene Lebenszeit

Ursula Staudinger betonte in ihrem Vortrag zwei grundlegende Veränderungen der letzten 100 Jahre: Die durchschnittliche Lebenserwartung ist um 30 Jahre gestiegen und das höhere Alter wird bei besserer Gesundheit erreicht. Diese gewonnene Lebenszeit bringt für Individuen und Gesellschaft sowohl Herausforderungen wie auch große Chancen. Allerdings sind Lebenslaufstrukturen und Altersbild immer noch stark durch das traditionelle Bild des Alterns geprägt und stammen aus einer Zeit, in der unsere Lebenserwartung, die Qualität des Lebens im Alter und die Verteilung von Aufgaben über die Lebensspanne ganz anders waren als heute.

Altern ist veränderbar

„Die Forschung zeigt, dass menschliche Entwicklung und Altern nicht determiniert sind, sondern aus der fortwährenden Wechselwirkung zwischen Biologie, Person und Kultur entstehen und somit – innerhalb biologisch gesetzter Grenzen – veränderbar ist“, sagte Staudinger. „Der Mensch besitzt also die Fähigkeit, seine eigene Natur zu verändern.“ Das bedeutet aber auch, dass die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft mit einer älter werdenden Bevölkerung entscheidend von ihrem Veränderungswillen abhängt. Dafür ist eine Neugestaltung von veralteten Strukturen in Bildung, Arbeitsmarkt, Politik, Zivilgesellschaft und nicht zuletzt in den Köpfen der Menschen notwendig.