Interdisziplinäres Symposium zum Thema Altern

Die Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen. Das bringt große Herausforderungen, jedoch auch neue Chancen für den Einzelnen und die Gesellschaft. Vom 28. bis 30. März setzten sich in einem interdisziplinären Symposium der Heidelberger Akademie der Wissenschaften renommierte Vertreter aus Wissenschaft, Politik und öffentlichem Leben mit aktuellen Fragen zum Älterwerden auseinander. Ursula Staudinger und der ehemalige Bundesminister und Vizekanzler Franz Müntefering hielten die Keynote-Vorträge zur Eröffnung der Veranstaltung „Altern: Biologie und Chance“.

Altern lässt sich gestalten

In ihrem Vortrag sprach Ursula Staudinger über die Veränderbarkeit des Alterns, die sich aus dem kontinuierlichen Zusammenspiel von Biologie, Kultur und Person schöpft. Sie betonte, dass eine Gesellschaft des längeren Lebens – entgegen gängiger Vorstellungen – ein hohes Leistungs- und Innovationspotenzial hat. Soziale Institutionen wie Arbeitsmarkt, Bildungs- und Gesundheitssystem müssen sich jedoch auf das längere Leben einstellen und sich entsprechend umbauen.

Ursula Staudinger beim interdisziplinären Symposium zum Thema Altern der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Foto: Christoph Bastert

Aufgrund dieser soziokulturellen Gebundenheit des Alterns werden regelmäßig Unterschiede im Gesundheitszustand und der kognitiven Leistungsfähigkeit von alten Personen verschiedener Geburtskohorten beobachtet. Daraus ergibt sich, dass „das kalendarische Alter per se keinen Erklärungswert hat“, sagte Staudinger. Beispielsweise sind die heute 70-Jährigen hinsichtlich ihrer funktionalen Gesundheit etwa auf dem Stand von 60-Jährigen der vorherigen Generation. So konnten Staudinger und ihre Kollegen zeigen, dass England im Jahre 2040 – obwohl es dann chronologisch älter sein wird als heute – nicht weniger, sondern sogar mehr kognitive Leistungsfähigkeit haben wird. Aus dieser Veränderbarkeit des Alterns ergibt sich ein breiter Gestaltungsspielraum, den es zu nutzen gilt – in der Politik, in Unternehmen und für jede einzelne Person.

Im Gespräch mit Franz Müntefering und Moderator Gerhard Mandel, Foto: Christoph Bastert

Franz Müntefering über Lebensqualität im Alter

Franz Müntefering sprach in seinem Vortrag von persönlichen Erfahrungen und Erkenntnissen aus der Sicht eines 79-Jährigen. Nach einem langen und erfüllten Leben richtet er seinen Blick nicht nur auf politische Fragen, sondern setzt sich auch aktiv mit Themen wie Lebensqualität, soziales Miteinander, Aktivität im Alter und dem Sterben „als letztem Teil des Lebens“ auseinander.

Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften ist zugleich auch Landesakademie von Baden-Württemberg. Sie pflegt über ihre Mitglieder den regelmäßigen fächerübergreifenden Dialog und ermöglicht durch den freien wissenschaftlichen Austausch und ihre Interdisziplinarität Themen umfassend zu diskutieren und der Öffentlichkeit vorzustellen. So war auch diese Veranstaltung ein wichtiger Beitrag zu einem aktuellen Thema.

Ursula Staudinger hält ceres Lecture

Am 26. November war Ursula Staudinger eingeladen, die ceres Lecture an der Universität zu Köln zu halten. Sie sprach vor rund 120 Gästen über „Gewonnene Jahre – Potenziale des Alter(n)s“. ceres lädt regelmäßig international führende Wissenschaftler ein, um ihre Expertise Studierenden, Wissenschaftlern und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und Einblicke in ihre aktuelle Forschungsarbeit zu geben.

Ursula Staudinger hält ceres Lecture
Foto: Andreas Kirchner

Gewonnene Lebenszeit

Ursula Staudinger betonte in ihrem Vortrag zwei grundlegende Veränderungen der letzten 100 Jahre: Die durchschnittliche Lebenserwartung ist um 30 Jahre gestiegen und das höhere Alter wird bei besserer Gesundheit erreicht. Diese gewonnene Lebenszeit bringt für Individuen und Gesellschaft sowohl Herausforderungen wie auch große Chancen. Allerdings sind Lebenslaufstrukturen und Altersbild immer noch stark durch das traditionelle Bild des Alterns geprägt und stammen aus einer Zeit, in der unsere Lebenserwartung, die Qualität des Lebens im Alter und die Verteilung von Aufgaben über die Lebensspanne ganz anders waren als heute.

Altern ist veränderbar

„Die Forschung zeigt, dass menschliche Entwicklung und Altern nicht determiniert sind, sondern aus der fortwährenden Wechselwirkung zwischen Biologie, Person und Kultur entstehen und somit – innerhalb biologisch gesetzter Grenzen – veränderbar ist“, sagte Staudinger. „Der Mensch besitzt also die Fähigkeit, seine eigene Natur zu verändern.“ Das bedeutet aber auch, dass die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft mit einer älter werdenden Bevölkerung entscheidend von ihrem Veränderungswillen abhängt. Dafür ist eine Neugestaltung von veralteten Strukturen in Bildung, Arbeitsmarkt, Politik, Zivilgesellschaft und nicht zuletzt in den Köpfen der Menschen notwendig.